Jetzt ist es offiziell: Ein ISO-Ausschuss zerlegt sich selbst
Seit drei Jahren gärt es im internationalen Normungsausschuss für Übersetzen
Die Meetings von Kopenhagen über Wien bis HangZhou und auch die Webmeetings, die zwischen den offiziellen Präsenztagungen stattfinden (sollten), waren nicht etwa durch ernsthafte Diskussionen um die Sache geprägt, sondern durch Klagen der Teilnehmer über mangelhafte Moderation durch den Convenor (Versammlungsleiter) und das autokratische Beharren der Projektleiterin auf der einen Seite und das Lamentieren der beiden über die angebliche Unkenntnis der aus den Mitgliedsländern delegierten Experten auf der anderen Seite.
Vor gut einem Jahr gab es auch offizielle Beschwerden einzelner Länderorganisationen gegen die beiden.
Aber was bedeutet aktuell „zerlegt sich selbst“?
In der letzten Woche wurden alle Meetings der Arbeitsgruppe ISO TC37 SC5 WG1, also zu den Übersetzungsthemen, für die im Juni stattfindende Konferenz in Ottawa, Kanada, abgesagt!
Derzeit werden in der ISO TC37 SC5 WG1 zwei Normenvorhaben behandelt, die für Übersetzer, Übersetzungsunternehmen, aber und vor allem auch die Kunden von sehr großer Bedeutung sind:
Zur geplanten „ISO 20771 Translation services in legal settings“ gab es nach dem Meeting in China zuletzt im August 2018 ein Webmeeting, auf dem beschlossen worden ist, dass innerhalb eines Monats ein neuer Textentwurf vorgelegt werden soll. Geschehen ist über Monate hinweg nichts. Erst in diesem April wurde ein neuer Text eingereicht und zur offiziellen Abstimmung gestellt (ein definierter Prozess mit festgelegten Zeiten), deren Deadline mitten in der kanadischen Sitzungswoche abläuft, sodass weder Projektleiterin noch Experten vor Ort Gelegenheit haben, sich mit dem Ergebnis und den eingereichten Änderungskommentaren zu beschäftigen.
Die geplante ISO 21999 zur Bewertung der Übersetzungsqualität wurde zuletzt im September per Webmeeting besprochen, jedoch gab es auch hier kein inhaltliches Vorwärtskommen, aber zumindest die Verabredung, dass bis November/Dezember ein komplett runderneuerter Entwurf vorgelegt wird. Nada, niente, nitschewo!
Das deutsche Spiegelgremium bei DIN hatte bereits im März an offizieller Stelle angeregt, die ursprünglich für die 20771 geplanten Arbeitszeiten in Ottawa für eine allgemeine Diskussion über die Zusammenarbeit zu nutzen, dies wurde vom Convenor abgelehnt.
Letzte Woche nun kam die offizielle Absage aller Termine für die ISO TC37 SC5 WG1 während der Sitzungswoche in Kanada, obwohl sich federführendes und übergeordnetes Sekretariat für Besprechungen starkgemacht hatten. Die Begründung des Convenors für die Absage lautet: „I also know that, for various reasons, the relevant leading experts will not be present in Ottawa, so there is no point in organizing any WG1 meetings to discuss the current two standards under development.“
18 Experten aus etlichen Ländern rund um den Globus und von internationalen Organisationen (allesamt „relevant leading experts“) hatten sich bereits angemeldet (z.T. sicherlich die Reise auch gebucht). Im deutschen Spiegelgremium gibt es sechs Experten, die die ISO-Sitzung bereits vorbereitet und die gemeldeten beiden Delegierten bestens gebrieft hatten: Wolf Bauer, seit vielen Jahren Funktionsträger im größten deutschen Berufsverband BDÜ und seit 1993 als Übersetzer tätig, und ich, diplomierte Jura-Übersetzerin mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung, vor allem allerdings auf dem Gebiet der Qualitätssicherung und im Qualitätsmanagement.
Wir werden dennoch reisen…
…da wir auch zu anderen Arbeitsgruppen angemeldet sind, und versuchen, mit den WG1-Kollegen ins Gespräch zu kommen. Dazu werden wir in den nächsten Tagen Einladungen an alle uns bekannten Experten schicken.
Wie auch das Engagement der tekom durch die zahlreichen Beiträge zur Normung im Übersetzungsbereich während der Tagungen und in der Fachzeitschrift ‚technische kommunikation‘ zeigt: Gerade das Thema Bewertung der Übersetzungsqualität ist sowohl für Übersetzungsdienstleister (Freelancer wie Unternehmen) als auch für deren Kunden extrem wichtig.