Mit Mindmap und spitzer Feder – die neue Struktur der IEC/IEEE 82079-1 Ed.2
Zeit, ein Resümee zu ziehen.
Was waren unsere Ziele am Anfang des Projekts? Konnten wir alles umsetzen? Wie ist die Zusammenarbeit zwischen 3 Organisationen (ISO, IEC und IEEE) und 21 Experten aus insgesamt 9 Ländern gelaufen?
Mit diesem Blogbeitrag starten wir eine kleine Artikelserie, die die neue IEC/IEEE 82079-1 unter den unterschiedlichsten Aspekten beleuchten soll. Der erste Artikel startet mit der neuen Struktur der IEC/IEEE 82079-1.
Was hat eine Mindmap mit einer Norm zu tun?
Mit dem Review Report haben wir (die internationale Arbeitsgruppe bestehend aus Experten von ISO, IEC und IEEE) bereits 2014 unsere Ziele festgelegt. Vor allem Struktur und Verständlichkeit der Norm schienen uns verbesserungswürdig. Darüber hinaus wollten wir viele Themen ausführlicher behandeln und auch neue Themen adressieren wie z.B. die mit den neuen Medien verbundenen Herausforderungen oder die erforderlichen beruflichen Kompetenzen.
Mit anderen Worten: Wir wollten das Rad zwar nicht neu erfinden, es aber wesentlich modernisieren und verbessern. Wir wollten die Norm – um im Bild zu bleiben – „runder“ machen. Die Neustrukturierung war unsere erste große Herausforderung. Um dem bereits vorhandenen Inhalt eine bessere Struktur zu geben, haben wir als Erstes jeden einzelnen Abschnitt inklusive Text bis zum allerletzten Unter-Unter-Abschnitt in eine Mindmap überführt. In der Mindmap haben wir dann die Inhalte neu sortiert und Platzhalter für die neuen Themen und Ergänzungen eingesetzt. Die Platzhalter ergaben dann auch gleich unsere Arbeitspakete. Das ist für ein Normungsprojekt ein eher untypisches Vorgehen – dafür aber pragmatisch. Zum Schluss haben wir alles wieder in eine Word-Datei überführt und voilà – da war er, unser erster Working Draft.
Wie sieht sie denn nun aus, die neue Struktur?
Die IEC/IEEE 82079-1 ist nun in folgende Abschnitte gegliedert:
(1) Anwendungsbereich
(2) normativen Referenzen
(3) Begriffe
(4) Erfüllung der Anforderungen (früher: Konformität)
(5) Grundsätze
(6) Informationsmanagementprozess
(7) Inhalt von Nutzungsinformationen
(8) Struktur von Nutzungsinformationen
(9) Mittel, Darstellung und Medien der Nutzungsinformationen
(10) Berufliche Kompetenzen
Annex A (informativ): Anleitung zur Bewertung der Erfüllung der Anforderungen
Und was steht drin?
Der Anwendungsbereich in Abschnitt (1) wurde zwar nicht ausgedehnt, aber ausführlicher beschrieben. Die Abschnitte (2) und (3) wurden überarbeitet, enthalten aber – abgesehen vom neuen Konzept der Nutzungsinformation – keine Überraschungen. Das neue Konzept ist aber eines eigenen Blogartikels würdig. Daher soll es hier nur bei einer Erwähnung bleiben.
Abschnitt (4) enthält eine wesentliche Neuerung:
Die frühere Konformität (zukünftig: Erfüllung von Anforderungen) ist von Abschnitt (7) in Abschnitt (4) vorgerückt. Grund hierfür sind neue Regularien von ISO und IEC. Die eigentliche Neuerung ist jedoch, dass man nun nicht nur die Erfüllung der Anforderungen an die Nutzungsinformationen für sich beanspruchen kann, sondern auch die Erfüllung von Anforderungen an den Informationsmanagementprozess.
Hierbei ist es (aufatmen!) dem Inverkehrbringer selbst überlassen, ob er nur die Erfüllung der Anforderungen an die Nutzungsinformationen oder auch die Erfüllung der Anforderungen an den Informationsmanagementprozess für sich beanspruchen möchte. Nur für Verbraucherprodukte ist alleine die Erfüllung der Anforderungen an die Nutzungsinformation maßgeblich.
Bereits die Vorversion enthielt an unterschiedlichen Stellen Grundsätze, die der Qualität der Nutzungsinformationen dienen. Diese haben wir in Abschnitt (5) nun unter „Grundsätze“ übersichtlich zusammengefasst. Einzig der „Grundsatz des Minimalismus“ ist neu hinzugekommen.
Fast biblisch gibt es nun sieben Grundsätze für qualitativ hochwertige Nutzungsinformationen:
- Vollständigkeit
- Minimalismus
- Korrektheit
- Prägnanz
- Konsistenz
- Verständlichkeit
- Zugänglichkeit
Auch der Informationsmanagementprozess ist adressiert mit dem Grundsatz des Gebrauchs wiederholbarer Verfahren.
Abschnitt (6) widmet sich voll und ganz dem Informationsmanagementprozess.
Es wird zwischen vier Prozessgruppen unterschieden, die in Unterabschnitten jeweils behandelt werden:
- Analyse und Planung von Informationen (6.2)
- Konzeption und Entwicklung einschließlich Review, Bearbeitung und Prüfung (6.3)
- Herstellung und Distribution (6.4)
- Erhaltung einschließlich Instandhaltung und Verbesserung (6.5)
Der Definition und Analyse der Zielgruppe ist hierbei ein großer Unterabschnitt gewidmet.
Der Inhalt der
Nutzungsinformation ist in Abschnitt (7) abgedeckt.
Alles in allem findet
man hier viel Bekanntes wieder.
Abschnitt (8) widmet sich der Struktur von Nutzungsinformationen und ist wesentlich ausführlicher als Abschnitt 5.15 in der Vorgängerversion.
Der Abschnitt empfiehlt zur Strukturierung von Nutzungsinformationen den Gebrauch von Informationsmodellen und schlägt 3 Vorgehensweisen vor:
- Entwicklung eines Informationsmodells mithilfe einer Strukturierungsmethode
- Verwendung eines bestehenden Informationsmodells, z.B. eines Open-Source-Informationsmodells
- Anpassung eines bestehenden Informationsmodells mithilfe einer Strukturierungsmethode.
Ausführliche Hilfe bietet der Abschnitt für die Auswahl geeigneter Strukturierungsprinzipen.
Darüber hinaus beschreibt Abschnitt (8) konkret und ausführlich die Struktur von Schritt-für-Schritt-Anleitungen.
Unterabschnitt (8.4) widmet sich der Navigation und Bereitstellung von Nutzungsinformationen. Die „Navigation“ durch gedruckte Nutzungsinformationen ist weiterhin abgedeckt. Zentral sind jedoch die Aspekte der dynamischen Bereitstellung von Nutzungsinformationen wie z.B. Kontextsensitivität und Suchfunktionen.
Abschnitt (9) geht auf verschiedene Kommunikationsmittel, Medien und die Darstellung der Nutzungsinformationen ein und trifft zum Beispiel Aussagen zu Haltbarkeit und Verfügbarkeit.
Darüber hinaus haben wir die äußeren Nutzungsbedingungen für die Auswahl des richtigen Mittels, Formats oder Mediums ins Spiel gebracht. Ist die Zielgruppe zum Beispiel ein Servicetechniker für Heizungen und damit typischerweise in schlecht beleuchteten Kellern unterwegs, ist Papier nicht die optimale Wahl.
In Abschnitt (10) haben wir erstmalig aufgaben- und leistungsbezogene Kompetenzen für die Ersteller von Nutzungsinformationen adressiert und auch Anforderungen und Empfehlungen für die Kompetenzen von Übersetzern.
Mein Fazit
Ich denke, dass uns mit der Neustrukturierung der Norm etwas richtig Gutes gelungen ist. Wirklich große Diskussionen hatten wir zur Strukturierung der Norm nicht. Mit „großen“ Diskussionen meine ich Diskussionen, die sich über einen halben Tag oder länger hinziehen oder die (und das ist fast noch schlimmer) in jeder Sitzung erneut aufpoppen. Wie dem auch sei – ich hoffe, dass die neue Struktur die Gebrauchstauglichkeit der Norm erhöht und dass die neu abgedeckten Themen die Bedürfnisse der Zielgruppe treffen!