Dieser Artikel ist der Abstract eines Vortrages auf der tekom-Jahrestagung 2018. Mehr Informationen über alle 250 Vorträge und Workshops zu allen Themen der Technischen Kommunikation finden Sie hier: https://tagungen.tekom.de/h18/tagungsprogramm/programm/
Neue Rahmenbedingungen für „Arbeit“
Auf eine Kernfrage der Digitalisierung wird interessanterweise sehr wenig eingegangen: Wie können sich Menschen und Maschinen über digitale Prozesse gegenseitig so unterstützen, dass ein hoch performantes Arbeitsökosystem entsteht? Im Englischen wird dies gelegentlich als „Co-Botting“ bezeichnet, aussagekräftiger ist jedoch der Ausdruck „digital assistiertes/augmentiertes Arbeiten“.
Menschliche Tätigkeiten werden in diesem Ansatz zur letzten, wichtigsten Meile der Digitalisierung und entscheiden maßgeblich über den nachhaltigen Erfolg von Digitalisierungsprojekten. Digitalisierung, kombiniert mit demographischen Trends, stellt neue Anforderungen an Arbeit 4.0:
- Projekt statt Routine: Der Anteil an Routinetätigkeiten sinkt bei Arbeit 4.0 dramatisch. Laut Forschungen von McKinsey erwarten zwei Drittel aller Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad, dass die Arbeitsabläufe in Zukunft eher projektbasiert statt funktionsorientiert organisiert werden [1]. Die Gefährdung einer Tätigkeit durch Automation hängt nach Ansicht des Economist vor allem davon ab, ob es sich um eine Routinetätigkeit handelt oder nicht [2].
- Arbeiten als Lernen: Weniger Routineaufgaben bedeuten für Arbeitnehmer zusätzlich, dass kontinuierlich neue Fertigkeiten erworben und gelernt werden müssen. Lernen spielt eine immer wichtigere Rolle für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit [3].
- KI kann Erfahrung kaum ersetzen: Eigentlich ist die Vermittlung von Praxiswissen und das „training on the job“ keine neue Erfindung und wird schon immer von gewieften Praktikern gelebt. Diese fehlen aber zunehmend durch Pensionierung der geburtenstarken Jahrgänge im Markt. Offene Stellen können immer weniger mit qualifizierten Facharbeitern besetzt werden. Die Automation hilft dabei auch weniger qualifizierte Fachkräfte so anzuleiten und mit Assistenzfunktionen zu unterstützen, dass komplizierte Aufgaben sicher und fehlerfrei erledigt werden können. Wie das geht wird im Folgenden gezeigt.
Digitale Assistenz – neue Arbeitskonzepte
Eine digitale Assistenz muss die Produktivität erhöhen, die Mitarbeiterzufriedenheit steigern und Fehler reduzieren. Für produktbezogene Arbeit 4.0 bedeutet das, dass die Assistenz erfahrungsbezogen, konfigurationsgenau, medienadäquat, von Routinetätigkeit entlastend und kontextspezifisch erfolgt. Diese Zuschreibungen bedeuten im Einzelnen:
- Erfahrungsbezogen: Die Unterstützung muss auf die Erfahrung des Mitarbeiters abgestimmt sein.
- Konfigurationsgenau: Anweisungen müssen die Produktkonfiguration berücksichtigen.
- Medienadäquat: Infos müssen im geeignetsten Medium (Bsp. 3D/AR/VR) angeboten werden.
- Entlastend: Assistenzdienste müssen die Mitarbeiter von Routinetätigkeiten entlasten.
- Kontextspezifisch: Die digitalen Assistenten müssen den Kontext einbeziehen, z.B. Einsatzprofil, aktuellen Zustand und Service- und Instandhaltungshistorie des individuellen Produkts.
Diese Anforderungen können heute nur mithilfe eines semantischen Informationsmanagement-Ansatzes konsequent und effizient erfüllt werden [4]. Er ist die Basis, um mit vertretbarem Budget effiziente Assistenzdienste zur Verfügung zu stellen – so genannte Smart Content Services.
Smart Content Services – Lösungen für die Praxis
Smart Content Services ist ein neuer Technologieansatz, um Arbeit 4.0 mit Mitteln der Digitalisierung intelligent zu unterstützen und produktiver zu machen. Die Unterstützung erfolgt sowohl inhalts- als auch datenbasiert. Den Kern von Smart Content Services bilden semantische Informationsmodelle, die Inhalte (z.B. Arbeitsbeschreibungen, Diagnosenetze, Funktionsbeschreibungen) so darstellen, dass sie sowohl als Anweisungen für Menschen aufbereitet als auch von digitalen Prozessen interpretiert werden können. Smart Content Services werden für spezifische Anwendungsfälle entwickelt und für die Arbeitsassistenz zur Verfügung gestellt.
Durchblick bei der Wartungsplanung
Der folgende Anwendungsfall zeigt das Konzept von Smart Content Services am Beispiel einer intelligenten Wartungsplanung für ein Kranfahrzeug und basiert auf einer smart-service Lösung der STAR Group. Der Fall beinhaltet verschiedene Smart Content Services:
- Individuelle Fahrzeugdaten: Angezeigt werden fahrzeugspezifische Informationen wie Fahrgestellnummer. Aufgrund der Daten werden im Hintergrund die individuellen Fahrzeugdaten abgerufen, die für die Bereitstellung der individualisierten Wartungsinformationen benötigt werden.
- Produktstatus: Hier wird der nächste Wartungstermin angezeigt sowie die Anzahl der Betriebsstunden. Darüber hinaus kann die Nutzungsdauer jederzeit manuell aktualisiert werden. Auch Ereignisse aus dem Zustandsmonitoring werden aufgeführt.
Bild 1: Smart Content Services für Intelligente Wartungsplanung
- Details zum Wartungstermin: Unter diesem Stichpunkt wird aufgeschlüsselt, wie lange die vorgeschlagene Wartung dauern und wieviel sie kosten wird. Zusätzlich wird der darauffolgende Wartungstermin-Vorschlag angezeigt. Diese Zeit- und Kostenangaben sowie das Intervall bis zur nächsten Wartung sind für den Kunden zentrale Entscheidungs- und Optimierungsgrößen.
- Timeline der Wartung: Der Zeitstrahl zeigt vergangene Wartungen, den aktuell geplanten Termin sowie zukünftige Termine an. Angegeben wird dabei auch der Umfang der Instandhaltungsmaßnahmen.
- Übersicht über Wartungsarbeiten und Materialien: Ablesen lässt sich zudem, welche Wartungsarbeiten durchzuführen sind – einschließlich anfallender Kosten, benötigter Zeit und notwendiger Qualifikation. Zudem zeigt eine Ampel an, ob die erforderlichen Materialien vorhanden sind (grün), bis zum Wartungstermin geliefert werden (gelb) oder noch bestellt werden müssen (rot).
- Übersicht über künftige Wartungstermine: Das Dashboard zeigt weitere geplante Wartungstermine an, die gegebenenfalls manuell zum aktuellen Wartungstermin hinzugefügt werden können, um Instandhaltungsarbeiten zusammenzufassen.
Entlastung von Wartungsroutine
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die beschriebenen Smart Content Services die Wartungsplanung beschleunigen und vereinfachen, denn Servicemitarbeiter bekommen automatisch konfigurationsgenaue Wartungsvorschläge. Zudem wird der Plan vom Assistenzsystem nach Änderungen neuberechnet und optimiert und die Voraussetzungen für die Wartung (Materialien und Werkzeuge) werden darüber hinaus jeweils geprüft. Diese sehr zeitaufwändigen Routinearbeiten werden dem Servicemitarbeiter abgenommen, gleichzeitig wird er von Fehlerquellen entlastet (z.B. dem Vergessen wichtiger Wartungsaufgaben). Auf diese Weise bleibt Luft, um sich intensiver um die Wünsche des Kunden zu kümmern und die Wartung auf dessen Anforderungen bezüglich Zeit und Kosten abzustimmen.
Fazit
Digital assistiertes Arbeiten oder Co-Botting ist eine menschenfreundliche, innovative und realistische Alternative zur pessimistischen Einschätzung der Digitalisierung als Jobkiller und dem technologieaffinen Glauben an viele neue Digitalisierungsjobs.
Die digitale Assistenz unterstützt den Menschen, ohne ihn zu überfordern oder ihn durch unreife Automationsalternativen zu ersetzen. Mit Co-Botting werden die Stärken von Mensch und Maschine kreativ kombiniert. Mit dieser cleveren Kombination lassen sich künftige Herausforderungen der komplexen digitalisierten Arbeitswelt und der demografischen Entwicklung erfolgreich bewältigen.
Quellen
[1] McKinsey Quarterly Artikel (Okt. 2016): Rethinking work in the digital age. In: www.mckinsey.com/
business-functions/organization/our-insights/rethinking-work-in-the-digital-age
[2] Economist Special Report (June 2016): Automation and anxiety. Will smarter machines cause mass unemployment. In: www.economist.com/news/special-report/21700758-will-smarter-machines-cause-mass-unemployment-automation-and-anxiety
[3] BBC Artikel (Mai 2017): How automation will affect you – the experts’ view. In: www.bbc.com/future/story/20170522-how-automation-will-affect-you-the-experts-view
[4] Matthias Gutknecht (2017): Produktflüsterer, Augmented Reality als digitaler Coach. In: DIGITUS Heft 2017-III Oktober.